Meine Fluchtburg Theater - Leseprobe

Hans-Martin Koettenich: Meine Fluchtburg Theater. Autorenedition

Hanau

Bei unserem Gastspiel mit "Freund Harvey" in der Hanauer Stadthalle war er wie immer. Präzise, witzig, ein morderner Diogenes im Paletot, elegant gekleidet und ein todernster Komiker.
An diesem Abend wollte ich mit Rühmann eben wieder abgehen, da hielt er mich fest mit einem neuen Text, völlig privat.
Er extemporierte:
      "Sagen Sie mal, haben Sie Verwandte?"
Ich: (betroffen) "Nee" (ging aber darauf ein), "aber doch, ja! Eine entfernte Tante!"
Er: "Entfernt? Wo wohnt sie denn?"
Ich: "In Gelsenkirchen"
Er: "Wie alt?"
Ich merkte, daß es eng wurde:
      "So ungefähr um die fünfzig"
Er: "Hat sie einen Beruf?"
Ich: "Kindermädchen"
Er: "Noch in diesem Alter? (Pause) "Kein Hobby?"
Ich: "Ich weiß nicht."
Er: "Goldfische, Briefmarken?"
Mir kamen langsam die Tränen, ich krampfte:
      "Briefmarken hat sie schon alle. War früher bei der Post."
Er: "Was macht sie denn abends?"
Ich: "Geht schon mal ins Kino"
Er: "In was für Filme?"
Ich: "Rühmann-Filme"
Er: "Kann ich nicht empfehlen"
Ich: "Ich auch nicht."
Da war's aus mit ihm. Der Spaßmacher schlug sich mit seinen eigenen Waffen. Er kämpfte mit den Tränen, und als er das auch bei mir sah, schluckte er nur noch.
Applaus.
Vorhang.
Erlöst sahen wir uns an. Dann leise:
      "Koettenich, das dürfen wir nie mehr machen, wir sind ja beide Lachwurzen."
Wir haben es wirklich nicht mehr gemacht.
Rühmann erhielt damals pro Abend 250 Mark Gage. Kulenkampff und ich jeder 20 Mark brutto.
Im Jahre 1951.
Das Zoo-Theater kam in Geldnöte. Indirekt durch Rühmanns Gage. Was machte er?
Spielte sämtliche noch 14 anstehenden Vorstellungen umsonst.
Ganz umsonst?
Ganz.
Dieser Rühmann!

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