Konzertkritik Rike Kohlhepp

Das Eigene und die Tradition

Die Geigerin Rike Kohlhepp konzertierte in der Kirchditmolder Kirche

Von Verena Joos


In der gut besuchten Kirchditmolder Kirche herrscht eine Atmosphäre gespannter Erwartung, als Rike Kohlhepp beginnt, ihrer Geige in sanftem Pianissimo harmonische Gesten und Melodiefragmente zu entlocken. An den Rändern der Stille entsteht Mehrstimmigkeit, gläsern perlen die Spitzentöne der höchsten Lage "Ins Offne", wie sie ihr Programm nennt. Es schlägt seine Funken aus der Konfrontation ihrer eigenen, improvisierten Musik mit der Partita Nr. 2 BWV 1004 von Johann Sebastian Bach, vielleicht seinem technisch anspruchsvollsten Werk für Violine Solo.
Haben sich jenes 1720 entstandene Werk, welches das Wunder vollbringt, ein einzelnes Streichinstrument in ein polyphon und funktionsharmonisch komplex agierendes "Orchester" zu verwandeln, und Kohlhepps Suchbewegungen auf dem Weg zu einer spezifischen musikalischen Sprache etwas "zu sagen"? Nachdem die Künstlerin die ersten vier Tänze der Partita mit energischem Bogenstrich und souveränem Gespür für die dissonanten Zwischenschritte auf dem Weg zur letztendlichen Harmonie vorgestellt hat, "antwortet" sie mit vier Miniaturen, die penible Materialforschung und poetische Fortschöpfung des eben Gehörten geglückt verbinden. Doch, in Rike Kohlhepps Etüden, in zweien von ihnen setzt sie ihre wohlklingende Sopranstimme als Zweitinstrument ein, ist die Auseinandersetzung mit dem Bachschen Kosmos hörbar zur Inspirationsquelle geworden. Und als sie dann, zuletzt, die übermenschlich schwere, überirdisch schöne Ciacona spielt, den berühmten Schlusstanz der Partita, da wird endgültig klar, dass ihr Weg von der notierten Musik des Barock zur freien Improvisation im Hier und Jetzt keine Einbahnstraße ist. Wie sie in diesem Stück, das sicher schon lieblicher zu hören war, schnörkellos, ohne romantische Fettblende die ganze Rauheit und existentielle Erschütterung zutage bringt, die in ihm steckt - das ist schon ein grandioses Hörerlebnis. Ergriffener Beifall.


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